Man ist auf einer kleinen Reise zu sich selbst.“

Saskia Matheis, 28, ist Fußballerin aus Leidenschaft und steht aktuell beim SV Werder Bremen unter Vertrag. In ihrer Karriere musste sie bereits mehrere schwere Verletzungen verkraften, was sowohl körperlich als auch mental sehr herausfordernd war. In unserem Interview spricht sie offen über Rückschläge, Zweifel und Identitätsverlust. Und darüber, wie sie mit kleinen Ritualen, innerer Reflexion und viel Geduld gelernt hat neue Stärke aus dem sportlichen Stillstand zu ziehen.


1. Saskia, du hast in deiner Karriere schon einige Verletzungen durchgemacht – aktuell steckst du ja leider wieder mittendrin. Wenn du an das Wort „Verletzung“ denkst – welches Bild oder Gefühl kommt dir da spontan in den Kopf?

Ich glaube, es ist so eine Mischung aus Gefühlen. Man kann das gar nicht auf ein einziges Gefühl spezialisieren – es kommt auch ein bisschen darauf an, in welcher Phase man gerade steckt. Aber aktuell ist das für mich natürlich sehr präsent. Es ist eine Mischung aus Trauer, aus Wut, aus Enttäuschung – aber auch Einsamkeit. Es sind schon eher düstere Gefühle, in denen man da drinsteckt. Und deshalb muss man extrem aufpassen, dass man irgendwie einen Ausgleich findet oder andere Dinge, die einen in dieser Zeit glücklich machen – weil das, was man eigentlich liebt, ja gerade komplett wegfällt.

2. Warum ist es dir wichtig, über das Thema Verletzungen so offen zu sprechen?

Weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, wie taff diese Zeit ist. Vor allem bei meinen ersten Verletzungen war das sehr, sehr hart. Damals habe ich viele Gespräche geführt mit anderen verletzten Spielerinnen – oder mit welchen, die das schon mal durchgemacht haben. Einfach um irgendeine Orientierung zu haben. Und genau das möchte ich heute weitergeben: Orientierung für andere Sportler:innen, die gerade mit denselben Problemen zu kämpfen haben wie ich damals – oder jetzt wieder.

3. Gab es eine Verletzung, die dich besonders herausgefordert hat – körperlich wie mental?

Ja, da gab es tatsächlich zwei. Sowohl die aktuelle als auch die erste große Verletzung waren auf ihre Art extrem prägend. Damals hatte ich eine richtig blöde Aneinanderreihung von Verletzungen. Zuerst war es eine Innenbandverletzung im rechten Knie – eigentlich eine Sache von drei, vier Monaten. Dann, während der Reha, kam raus: Im anderen Knie ist der Meniskus kaputt. Also musste ich operiert werden – was dann nochmal ein halbes Jahr Pause bedeutete. Plötzlich war ich fast ein Jahr raus.

Und dann, als ich endlich wieder auf dem Platz stand – im allerersten Training – ist der Meniskus direkt wieder durch. Da denkst du dir einfach: „Was soll das eigentlich?“ Ich war ein bisschen vorbereitet, weil die Ärzte schon gesagt hatten, dass es eventuell nicht halten wird. Aber das hat’s natürlich nicht leichter gemacht. Diese ständige Ungewissheit: Ist da jetzt was kaputt? Ist es das Narbengewebe? Was sagen die MRTs? Dann rennst du von Arzt zu Arzt, kämpfst mit Versicherungen, musst dich um Berufsgenossenschaft kümmern – obwohl du dich eigentlich nur auf deine Genesung konzentrieren willst. Aber das geht in dem Moment einfach nicht.

4. Das klingt nach einer enorm belastenden Zeit – wie bist du damals damit umgegangen?

Ehrlich gesagt: Es war richtig schwierig. Aber ich hatte das Glück, dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so richtig wieder in die Mannschaft integriert war. Es war genau in der Sommerpause – die ersten Einheiten außerhalb des Mannschaftstrainings. Ich hätte in der Woche danach langsam wieder ins Teamtraining einsteigen sollen. Insofern wurde ich nicht direkt aus dem Gefüge gerissen – aber ich war natürlich voller Vorfreude, dass es endlich losgeht. Und dann dieser Rückschlag. Was mir damals wirklich geholfen hat, war mein Umfeld – Familie, Freunde. Aber auch die Tatsache, dass ich plötzlich gezwungen war, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen: Wer bin ich eigentlich außerhalb des Fußballs? Wenn das wegbricht, was mich definiert, was bleibt dann? Das war eine kleine Reise zu mir selbst. Ich habe parallel studiert, konnte meinen Fokus auf andere Dinge richten – Hausarbeiten schreiben, Kurse abschließen, all das, was sonst liegen bleibt. Ich habe auch neue Hobbys gesucht. Damals habe ich sogar angefangen zu modeln – einfach mal ausprobieren, was Spaß machen könnte. Dinge, auf die ich sonst nie gekommen wäre.

5. Hast du dir in der Zeit auch sportpsychologische Unterstützung geholt?

Ja, ich habe mir damals sportpsychologische Unterstützung gesucht. Es ging dann viel über Meditation und solche Themen. Neben Meditation habe ich Yoga gemacht – einfach, um mental ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Dieses Gedankenkarussell, vor allem die negativen Gedanken, war oft schwer zu stoppen. Daran arbeite ich bis heute. Aber gerade in den letzten Jahren, wo immer wieder kleine Dinge aufgetreten sind, habe ich noch mehr für mich entdeckt – zum Beispiel das Journaling. Ich habe angefangen, jeden Abend positive Dinge aufzuschreiben. So banal es klingt: Es hilft wirklich, den Fokus zu verändern und die eigenen Gedanken zu reflektieren. Es fällt mir auch jetzt wieder auf, wie schwer es ist, sich auf das Positive zu konzentrieren, wenn man mitten in so einer Phase steckt. Aber mit der Zeit wird es besser.

6. Irgendwann kam dann der Moment, an dem du wieder auf dem Platz standest. Wie schwer war es, wieder Vertrauen in deinen Körper zu fassen?

Das war richtig schwer. Ich hatte lange das Problem, bestimmte Bewegungen nicht ausführen zu können – weil sie einfach wehgetan haben. Ich habe dann viel mit Training kompensiert, gezielt Übungen gemacht, die mir geholfen haben, wieder Vertrauen aufzubauen. Kleine Schritte: Sprünge, Pässe, Bewegungsabläufe. Ich hatte zum Beispiel oft Schmerzen, wenn ich den Ball vorne auf die Spitze bekommen habe – da ging die Belastung direkt auf den Meniskus, und es hat höllisch wehgetan. Aber irgendwann habe ich gemerkt: Es tut zwar weh, aber es geht nach zwei, drei Minuten wieder weg. Es ist kein dauerhaftes, alarmierendes Gefühl. Und dann fängst du an, dich an diesen kleinen, minimalen Fortschritten festzuhalten. Du merkst: Mit der richtigen Übung geht’s. Dein Körper kann das wieder. Und das hilft enorm.

7. Und jetzt steckst du leider wieder in einer Reha. Was ist diesmal passiert?

Diesmal ist es keine klassische strukturelle Verletzung wie ein Riss oder Bruch – sondern eine Rückenverletzung. Ich habe ein halbes Jahr lang mit Schmerzen gespielt, bis Mai. Dann kam die Sommerpause, und ich hatte gehofft, dass ich mich erhole. Aber beim Neustart im Juli war schnell klar: Es ist nach wie vor nicht gut. Das macht es besonders herausfordernd, weil es keinen klaren Rehaplan gibt. Keine Timeline, kein „in drei Monaten kannst du das, in fünf Monaten das“. Es ist viel unsicherer. Und das zieht sich durch alles – Urlaub, Regeneration, Sommerpause. Ich konnte nie wirklich abschalten, weil ich durchgehend mit der Verletzung beschäftigt war. Während andere entspannen, kämpfst du weiter.

8. Wie gehst du aktuell mit dieser Ungewissheit um?

Dadurch, dass es eine Verletzung ist, die nicht so zielgerichtet ist, stellt es für mich auch wieder eine neue, besondere Herausforderung dar. Ich versuche, auf kleine Fortschritte zu achten, die kleinen Momente, in denen etwas besser wird – und die zu feiern. Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt: Es tut mir in manchen Phasen nicht gut, bei der Mannschaft zu sein. Auch wenn das hart klingt – ich achte sehr genau auf meine eigenen Bedürfnisse und Emotionen. Wenn ich gerade Abstand brauche, dann nehme ich mir den auch. Auch wenn das in dem Moment egoistisch wirkt, aber es ist dann eben das, was mir weiterhilft, weil ich den Abstand jetzt erstmal brauche, um für mich selber in diese Ruhephase zu kommen, um meinen Körper zu regenerieren. Trotzdem ist es natürlich schwer – weil die Sehnsucht da ist. Ich will dabei sein, ich will lernen, ich will Teil des Teams sein. Aber das geht gerade nicht. Und deshalb versuche ich, meinen Fokus klar auf die Genesung zu richten – nicht auf das, was hätte sein können.

9. Verletzungen als Chance – klingt erstmal zynisch. Aber inwiefern haben dich diese Phasen auch persönlich weitergebracht?

Extrem. Ich war früher der ungeduldigste Mensch der Welt. Und plötzlich musst du warten. Auf alles. Auf Fortschritt, auf Bewegung, auf Freiheit. Das hat mich gezwungen, Geduld zu lernen. Und heute bin ich dadurch viel entspannter, viel weniger leicht zu stressen. Klar: Ich hasse es immer noch zu warten. Aber ich kann besser damit umgehen. Ich habe außerdem gelernt, Gesundheit viel mehr wertzuschätzen. Wenn du mal nicht mehr selbst deine Schuhe ausziehen kannst, dann weißt du: Gesundheit ist nichts Selbstverständliches. Sie ist ein Privileg. Und sie ist etwas, wofür man aktiv etwas tun muss. Ernährung, Mobilität, Prävention – das sind alles Dinge, die ich heute ganz anders sehe. Und ich habe durch die vielen Rehas ein neues Körpergefühl entwickelt. Ich bin viel sensibler dafür geworden, was in meinem Körper vorgeht. Ich weiß schneller, wenn etwas nicht stimmt. Ich kenne meine Schwächen – und kann gezielt daran arbeiten.

10. Zum Schluss: Was möchtest du anderen verletzten Sportler:innen mit auf den Weg geben?

Was mir eine echte Herzensangelegenheit ist: Sprecht offen darüber. Redet darüber, wie es euch geht. Seid ehrlich. Holt euch Hilfe – und wenn das nicht im Umfeld von Familie oder Freunden möglich ist, dann sucht euch professionelle Unterstützung. Denn das ist eine Situation, die ist nicht leicht. Sie kostet unglaublich viel Kraft – mental und körperlich. Gerade deshalb finde ich es wichtig, dass man dieses Thema weiter in den Vordergrund rückt und nicht tabuisiert. Es ist keine Schande. Im Gegenteil: Es hilft, mit jemandem zu reden, sich auszutauschen und Unterstützung zu bekommen. Das ist für mich das Allerwichtigste. Und auf der anderen Seite – auch wenn der Moment einfach unpassend ist, die Verletzung schmerzhaft ist und eigentlich alles gerade total ätzend wirkt, gibt es immer auch etwas Positives in der ganzen Geschichte. Und es zählt, genau diese eine Sache zu finden.

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